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Recherche bei Bildagenturen – Von Armut, Musiker_innen und der Unsichtbarkeit von Diskriminierung

Éva Ádám

Der Archivbereich Bilderpolitik von RomArchive soll widerständige Methoden, Darstellungsformen und Kommunikationsstile hervorbringen und so zur Bildung eines kritischen Bewusstseins sowohl innerhalb des Archivs als auch in der direkten Zusammenarbeit mit Bildproduzent_innen beitragen. Zentral für dieses Anliegen sind die Bilder selbst, die aussagekräftig für die Repräsentation von Rom_nija und Sinti_zze stehen. Deshalb ist es wesentlich, sich mit ihrer Popularität und Präsenz auseinanderzusetzen.

Éva Ádám und die Sektion Bilderpolitik haben hierzu eine Recherche begonnen, die einen ersten Eindruck vermittelt, aber noch weitaus präziser fortgeführt werden könnte. Um herauszufinden, welche Bilder über Sinti_zze und Rom_nija existieren und wie sie klassifiziert und verschlagwortet sind, haben wir bei bekannten und relevanten Bildagenturen nach ihnen gesucht.

Bevor nun die Ergebnisse unserer Arbeit vorgestellt werden, soll auf das Dilemma hingewiesen werden, das im Kontext von Bildern immer vorhanden ist. Sie sind keine Lieferanten einer endgültigen Wahrheit und können meist nicht für sich selbst sprechen. Um sich ihrer Aussage sicher(er) zu sein, müssten die Autor_in bzw. Bildproduzent_in, das Jahr und der Kontext des Entstehens der Fotografie, die Identität aller abgebildeten Personen und vieles Weitere bekannt sein – ein Unterfangen, das in den fotografischen Sammlungen leider kaum verfolgt wurde und das auch im Rahmen dieser Recherche nicht nachholend umsetzbar ist.

Daher erforderte die Recherche ein bewusstes, strategisch-distanziertes, kurzfristiges Einlassen auf die vorherrschenden rassistischen Klischees, um überhaupt Bilder zu finden und die Grundproblematik der Bilderpolitik bezüglich Rom_nija und Sinti_zze deutlich zu machen. Weder die Ergebnisse, noch die Recherche selbst beanspruchen Vollständigkeit. Sie machen vielmehr in einem breiten Rahmen deutlich, wie stark die Bilderpolitik um Sinti_zze und Rom_nija von Stereotypen und Klischeedenken geprägt ist und wie sehr diese Vorurteile jegliche Repräsentation beeinflussen. An diesem Punkt unserer Arbeit kommen wir daher nicht umhin, uns auf diesen dominanten Blick zu beziehen.

Die Recherche

Zunächst wurde ein Katalog von Suchwörtern erstellt. Wir recherchierten sowohl nach Begriffen, die uns interessierten, als auch nach solchen, die erfolgversprechend erschienen. Je nach Bildportal haben wir die Wörter auf Deutsch oder Englisch verwendet. Unsere Suchbegriffe waren: Antiziganismus / antigypsyism, Antisemitismus / antisemitism, Roma / Romani, Zigeuner / gypsy, Roma Holocaust, Bürgerrechte / Civil Rights, Rassismus / racism, Roma Musik/music, Roma Musiker/musician, Roma Kultur/culture, Diskriminierung / discrimination, Internationaler Tag der Roma / International Roma Day. Auf jeder Webseite haben wir nach allen Suchbegriffen recherchiert.

Grundsätzlich fällt auf, dass es offenbar insgesamt wenig Bildmaterial gibt. Wenn es welches gibt, ist es fast ausschließlich von Stereotypen geprägt – sowohl in den Fotografien selbst, als auch in ihren Beschreibungen und ihrer Verschlagwortung.

Bei Getty Images lieferte die Suche nach »Roma« eine große Zahl an Ergebnissen (über 40.000), allerdings bezog sich das ausschließlich auf Bilder von der Stadt Rom. Die integrierte Suchmaschine verweist aber auf »verwandte Suchen«. Dort finden sich dann die folgenden Begriffe: »zigeuner«, »rome«, »paris«. Klickt man im Folgenden auf den Vorschlag »zigeuner«, zeigt sich als eines der ersten Bilder ein inszeniertes Foto von einer wahrsagenden Frau. Weitere sich wiederholende Themen sind Frauen im »Hippie-Stil«, wieder die Stadt Rom, Familien vor Wohnwagen (sowohl in schwarz-weiß, als auch in Farbe) und tanzende Menschen. Einige der Bilder sind auch alte Zeichnungen. Ein außerdem wiederkehrendes Motiv ist die alljährliche Pilgerreise von Rom_nija nach Saintes Maries de la Mer. Die »verwandten Suchen«, die nun angezeigt werden, sind: »roma« und »zigeunerwagen« – zusätzlich gibt es so genannte »Prestige-Ergebnisse zigeuner« mit zwei Gruppenbildern derselben Prozession zum Meer, zwei Kinderbildern, einem »Rajasthani gypsy girl« und vier Fotos ohne ersichtlichen Bezug. Klickt man auf den Vorschlag »zigeunerwagen«, finden sich die »verwandten Suchen« »wohnwagen«, »fahrende« und »circus« und lediglich drei Bilder mit den folgenden Titeln: »1970s PSYCHIC CRYSTAL BALL FORTUNE TELLER LOOKING AT CAMERA«, »Gypsy snake handler, Kudagama« und »Junge wartet auf den Zug«.

In der Bildagentur Magnum Pro verhält sich die Suche etwas anders. Lässt man die Bilder nach dem Begriff »Roma« durchsuchen, fällt als erstes wieder das schwarz-weiße Gesamtbild ins Auge. Zu allererst erscheint ein Bild von einem »Roma (Gypsie) camp«. Scrollt man die erste Seite weiter nach unten, folgen noch zwei weitere Bilder, die eindeutig auf »Roma« verweisen: das eines Mannes in einer kleinen Stadt und das eines »ethnic Albanian child« in den Trümmern eines Hauses; beide im Kosovo. Die große Mehrheit der anderen Bilder zeigt die Stadt Rom. Die Suche nach »Gypsies« ergibt sehr viele Armutsbilder aus Tschechien und der Slowakei, aus weiteren europäischen Ländern, aber auch aus Chile und Brasilien. Einige Bilder sind dieselben, die auch bei der Suche nach »Romani« angezeigt wurden, was darauf schließen lässt, dass die Begriffe teilweise synonym verwendet werden und Bilder mit beiden Begriffen verschlagwortet werden. Die Suchbegriffe »Racism« und »Discrimination« ergeben sehr ähnliche Ergebnisse und zeigen vor allem Schwarze Menschen und insbesondere Bilder aus Südafrika und Louisiana, USA. »Roma Holocaust« liefert keine Ergebnisse. Interessanterweise bietet die nicht-professionelle Ausgabe von Magnum Photos ein ganz anderes Ergebnis. Die meisten Bilder stammen aus »Romania« und wenige sind mit dem Beititel »Gypsies« vermerkt, weshalb sie in den Ergebnissen erscheinen. »Racism«, »Discrimination« oder »Antigypsyism« liefern keine Ergebnisse, die im Bezug zu Rom_nija und Sinti_zze stehen. »Roma Holocaust« zeigt die gleichen Bilder wie bei der Suche nach »Roma«.

Bei Mauritius Images liefert »Roma« Bilder von der Stadt Rom. Zum Begriff »Gypsies« bietet das Archiv Bilder von Wohnwagen, ‚indischer‘ Kultur, älteren Menschen und Kindern  an. Ähnliche Ergebnisse liefert das Suchwort »Zigeuner« – mit dem Unterschied, dass es zusätzlich mehrere Fotos von KZ-Gedenkstätten und Stacheldraht gibt. Erweitert man die Suche mit »Roma Holocaust« erscheinen hauptsächlich Bilder von verschiedenen Denkmälern und Gedenkstätten, wie jenen in Berlin oder Auschwitz. Historische Bilder sind nicht vorhanden. »Roma Musician« bringt eine hohe Zahl an Fotos von Straßenmusikszenen. Bekannte Rom_nija-Musiker_innen, z.B. aus dem Bereich der Klassik, sind nicht zu finden.

In Fotolia erscheinen unter dem Stichwort »Zigeuner« viele Bilder von knapp bekleideten Frauen im »Hippie-Stil«. Wiederkehrende Elemente sind ausladender Schmuck, Strand, Sonne und Federn. Außerdem werden hier viele Bilder von Jugendlichen, Wahrsager_innen, Circus und Flamenco aufgerufen. Die Suche nach »Rassismus« bringt wenig Ergebnisse. Das häufigste Motiv sind weiße und Schwarze Hände, die teilweise eine Herzform bilden, oder sich umarmende Menschen. Alle weiteren Suchbegriffe brachten keine relevanten Ergebnisse.

Bei der Bildagentur Istockphoto wiederholte sich das Ergebnis der vorherigen Agentur, allerdings noch eingeschränkter. Die Suche nach »Rassismus« zeigte hier ausschließlich Arme verschiedener Hautfarben, die sich die Hand reichen. Bei Istockphoto stießen wir noch auf zwei Einzelfälle. »Hungary discrimination« liefert kaum Fotos, abgesehen von einem eindrücklichen mit Stacheldraht und der ungarischen Flagge in der Mitte. Dieses Foto weckt Assoziationen zur aktuellen Abschottung Ungarns von Serbien und vor Geflüchteten. Die in Ungarn normalisierte Diskriminierung gegen Rom_nija wird fotografisch nicht erwähnt.  Die Suche nach dem »International Roma Day« erzielt ein einziges Bildergebnis: ein Kalendersymbol, das den 8. April zeigt.

Auf der Webseite der Deutschen Presse-Agentur, die für viele Medien eine wichtige Grundlage bietet, finden sich zu keinem der Suchbegriffe Bilder.

Die Ergebnisse

Die Ergebnisse der Bildrecherche sind ernüchternd. Es offenbart sich eine riesige Lücke im Bildmaterial und in der Verschlagwortungspraxis, die auf  fehlendes Wissen – auf genehmigte Ignoranz (in Spivaks Sinne) –  um die Geschichte und Gegenwart Europas sowie der Minderheit der Rom_nija hinweist. Um sicherzugehen, dass es nicht grundsätzlich keine historischen Fotos gibt, insbesondere bezüglich des Holocaust, haben mit dem Suchwort »Antisemitismus« eine Vergleichsprobe vorgenommen. Hier fanden sich viele Ergebnisse.

Begriffe wie Rassismus und Diskriminierung zeigen lediglich Fotos von Schwarzen US-Amerikaner_innen, teilweise Fotos des Ku Klux Klans. Rassismus gegenüber Rom_nija und Sinti_zze, nach dem wir auch anhand des Begriffs »Antiziganismus« recherchierten, ist nicht in Bildmaterial auffindbar. In den Datenbanken der Bildagenturen existiert er nicht. Auch die Suche nach Bürgerrechtsbewegungen zeigt lediglich Ergebnisse des afroamerikanischen Civil Rights Movement. Die Bürger_innenrechtsbewegung der Sinti_zze und Rom_nija in der BRD der 1980er Jahre sowie in anderen europäischen Ländern scheint hier schlicht nicht dokumentiert zu sein. Die Suche nach »Antiziganismus« ergibt, wie bereits erwähnt, im Gegensatz zu »Antisemitismus«, so gut wie keine Ergebnisse.

Erfolgreich sind hingegen zusammengesetzte Begriffe, die auf Stereotype abzielen, wie »Roma musician« (ergibt viele Bilder von Straßenmusiker_innen in Südosteuropa, z.B. Serbien, Kosovo, Griechenland) oder »Roma culture« (ruft Bildergebnisse zu einem Kleidungs- und Lebensstil auf, der am ehesten als »Hippie-Stil« beschrieben werden kann). Die Suche nach »Roma children« zeigt ausnahmslos Armutsbilder und fotografische Klischees aus Rumänien.

Am auffälligsten ist die Tatsache, dass Bilder zu bestimmten Themen völlig unauffindbar sind. Es ist, als würden manche Bilder und die von ihnen abgebildeten Menschen einfach nicht existieren: Wo sind die Fotografien der Mittel- und Arbeiter_innenklasse? Wo sind die Bilder der Rom_nija-Künstler_innen, Intellektuellen, Starmusiker_innen und Aktivist_innen? Sobald Personen nicht mehr den Stereotypen entsprechen, scheinen sie nicht mehr unter das ethnisierende Etikett und Schlagwort zu fallen. Dies führt wiederum zu einer Homogenisierung der Bilder, die die Stigmatisierung der ethnisiert eingeordneten Menschen auf den Bildern nur verstärkt.

Daher ist es dringend nötig, eine Debatte über die Klassifizierung der Bilder anzustoßen. Wer entscheidet, welches Bild das Label »Roma« erhält und nach welchen Kriterien? Welche Qualifizierung haben die Menschen, die die Klassifizierung vornehmen? Warum scheint die visuelle Geschichte anderer rassifizierter Minderheiten, etwa von Jüd_innen oder Afroamerikaner_innen in den Datenbanken der Bildagenturen zu existieren, die der Sinti_zze und Rom_nija jedoch überhaupt nicht? Warum werden Rom_nija visuell auf Armutsbilder und einen Modestil reduziert? Die Hoffnung auf ein positives Erlebnis während der Recherche wurde enttäuscht, jedoch hat sich die dringende Notwendigkeit unseres kritischen Diskurses zur Bilderpolitik bestätigt.

 

Bild oben: (c) Hildegard Lagrenne Stiftung

 

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